Der Dialog nach David Bohm
Wirkliche Verständigung kann nur gelingen, wenn wir darauf verzichten, zu wissen, was richtig oder falsch ist. Der Dialog ist eine Form der Kommunikation, entwickelt vom Physiker David Bohm, die es ermöglicht, einander wirklich zuzuhören, miteinander zu denken und gemeinsam kreative neue Lösungen zu finden. Im Gegensatz zum Dialog geht es bei der Diskussion eher darum, andere von den eigenen Positionen zu überzeugen bzw. sich durchzusetzen. Dabei wird Erfahrung aus der Vergangenheit auf die Zukunft projiziert.

Im Dialog sein heisst, sich mit Neugier und Freude ohne Denkschablonen auf einen gemeinsamen Prozess des Erkundens und Erforschens einlassen, sich miteinander auf die Suche nach den Möglichkeiten von morgen zu begeben.
Die Qualität des Dialogs entsteht durch 10 Kernfähigkeiten
1. Lernende Haltung
Die lernende Haltung ist gekennzeichnet durch Interesse und Neugier am Anderen. Eine Haltung des Nicht-Wissens, der Offenheit für Neues. Durch diese Haltung kann ich erfahren, wie die Welt aus dem Blickwinkel meines Gegenübers aussieht und welcher Erfahrungen, Annahmen und Bedürfnisse sein Denken und Handeln prägen.
2. Radikaler Respekt
Radikaler Respekt bedeutet, die andere Person in ihrer Andersartigkeit als legitim und gleichwertig anzuerkennen, ihre Sicht auf die Dinge als ebenso berechtigt und sinnvoll anzusehen wie die eigene. Radikal heisst an die Wurzel gehend, sich um ein tieferes Verständnis des anderen zu bemühen. Das fällt besonders schwer, wenn wir Ablehnung und Misstrauen verspüren.
3. Von Herzen sprechen
„Von Herzen“ sprechen, bedeutet, dass ich im Dialog von dem spreche, was mir wirklich wichtig ist, was mich innerlich bewegt. Ich spreche in einfacher, klarer Sprache, in der es nicht um die Wirkung geht, sondern um den Inhalt. Ich zeige mich dabei ohne Maske.
4. Generatives Zuhören
Beim Generativen Zuhören kann ich meine eigenen Blockierungen, Widersprüche und Ablenkungsversuche wahrnehmen und mir bewusst machen, so dass sie mein Zuhören nicht erschweren. Ich verzichte darauf, schon während des Zuhörens an meiner Entgegnung zu basteln. Konzentriertes und offenes Zuhören kann dazu führen, etwas zuvor Unsichtbares sichtbar zu machen, etwas Neues entstehen zu lassen, zu generieren, so wie Michael Ende es in seiner Geschichte über Momo beschreibt. Es ist eine grundlegende Erfahrung von einer anderen Person vorbehaltlos gehört zu werden.
5. Annahmen und Bewertungen suspendieren
Ein wesentlicher Anspruch des Dialogs liegt darin, sich die eigenen Meinungen, Vorannahmen und Bewertungen bewusst zu machen und sie vorübergehend zu „entlassen“ oder sie in der Schwebe zu halten, um vorurteilsfrei zu hören zu können. Viele unserer Verhaltensmuster, Annahmen und Bewertungen sind frühkindlich „programmiert“ worden und also veraltet. Erst, wenn wir uns dabei beobachten, alles auf den Prüfstand stellen und die Begrenztheit unseres Denkens erkennen, sind wir in der Lage, alte Muster aufzulösen und Neues zu denken.
6. Erkunden
Die dialogische Beziehung zwischen Sprechen und Hören basiert auf dem Erkunden der anderen Position durch aufrichtige, interessierte Fragen. Im Gegensatz dazu stehen Fragen, die ausforschend sind oder dazu dienen, sich in Szene zu setzen oder die Führung zu übernehmen.
7. Produktiv plädieren
Produktiv für meine Position zu plädieren heisst, meinen Denkprozess erläutern, den Weg aufzeigen, wie ich zu meiner Position gekommen bin, statt nur mein „Denkprodukt“ zu präsentieren. Dabei lade ich andere ein, meinen Denkweg zu überprüfen und ihre Beobachtungen danebenzustellen, so dass sich das gesamte Bild erweitern kann.
8. Offenheit
Die Offenheit für Überraschungen und konträre Positionen ermöglicht ein sich aufeinander zubewegen. Die Bereitschaft, sich von einer eingenommenen Position zu lösen, hat meistens auch eine Bewegung des Gegenübers zur Folge. So kann Neues entstehen.
9. Verlangsamung
Erst durch die Verlangsamung des Austausches wird es möglich, das Gesagte ganzheitlich zu erfassen und das Eigene im Ausdruck zur Entfaltung zu bringen und beides ineinander fliessen zu lassen. Unterstützt wird Verlangsamung durch Vereinbarungen und Rituale, wie z.B. durch die Benutzung eines Redeobjektes, wo immer nur die Person spricht, die das Objekt in der Hand hält.
10. Die Beobachterin beobachten
Gerade in Gesprächen mit Personen, die von uns als schwierig empfunden werden, steigen oft Impulse auf, schnell und abwehrend zu reagieren. Wenn es mir gelingt, mich selbst dabei, wie von aussen, zu beobachten, kann ich viel über meine eigenen Muster erfahren. Durch diese meta-kognitive Kompetenz können Projektionen auf andere bemerkt werden, bevor sie ihr destruktives Potenzial entfalten.
Idealerweise wird der Dialogprozess durch einen Dialog-Begleiter angeleitet. Es kann aber auch schon sehr förderlich sein, sich als Führungsperson mit den Dialogqualitäten auseinander zu setzen und sie dem Team nahe zu bringen. Die Anwendung bewirkt eine starke Weiterentwicklung des Teams und aller Beteiligten. Für einen strategischen Dialog ist es wichtig, dass der Zweck des Prozesses ist, sich dem Thema durch gemeinsames Plädieren und Erkunden zu nähern ohne die Absicht in dieser Sitzung zu einer Entscheidung zu kommen.
Literatur: Hartkemeyer, Dialogische Intelligenz